Aus: „Entschleunigung: Abschied vom Turbokapitalismus“. 11. »Müßiggang ist aller Liebe Anfang« (Christa Wolf)
Das Arbeitsethos hat ausgedient
11. Leseprobe
aus: „Entschleunigung: Abschied vom Turbokapitalismus“:
Die Angst vor Arbeitslosigkeit scheint mittlerweile größer als die Angst, krank zu werden.[1] Deshalb versprechen alle Parteien wie aus einem Munde: Wir schaffen neue Arbeitsplätze!
Man muss angesichts einer solchen Fixierung des öffentlichen Bewusstseins immer wieder in Erinnerung rufen, dass zwar die Arbeit so alt wie der Mensch selbst ist, ihre ideologische Verklärung aber erst seit wenigen Jahrhunderten die Köpfe der Menschen verdreht. In der griechischen Antike war Arbeit Sache der Sklaven, eines freien Bürgers unwürdig. Dessen Aufgabe waren die Staatsgeschäfte, die Pflege von Kultur und Wissenschaft und nicht zuletzt der schlichte Genuss des Lebens, die Veredelung des Genießens. Heraklit von Ephesos soll sich seines Vermögens, das er mit selbst erfundenen Ölmühlen erworben hatte, geschämt haben. Aber nicht deshalb, weil darin Sklaven arbeiten mussten, sondern weil er hohe mathematische Ideen durch ihre kommerzielle Anwendung quasi entweiht hatte. Auch im Mittelalter und in der frühen Neuzeit verboten Tradition und Recht dem Adel als der führenden Schicht der Gesellschaft jegliche gewerbliche Betätigung. Erst das Christentum begann mit der Aufwertung der Arbeit. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, heißt es schon im Neuen Testament. Die Katholische Kirche setzte Gebet und Arbeit als unterschiedliche Formen des Dienstes an Gott gleich. Der Calvinismus verstieg sich sogar in die Behauptung, dass der Erfolg eines Menschen im Beruf das Zeichen Gottes für die Auserwähltheit dieses Menschen sei. Und als die Deutsche Arbeiterpartei, die spätere NSDAP, 1920 in ihr Parteiprogramm die „Adelung der deutschen Arbeit“ aufnahm, konnte sie direkt an dieses christliche Arbeitsethos anschließen.
Heute jedoch, nachdem sich die menschliche Produktivkraft vor allem in den letzten 200 Jahren historisch beispiellos entwickelt hat, verrichten Sklaven aus Eisen einen Großteil der Knochenarbeit und Skalven aus Silikon einen Großteil der Denkarbeit. „Eine ungeheure Wende, eine wahrhaftige Revolution liegt hinter uns“, schreibt der Münchner Journalist Christian Schütze in seinem Essay „Frieden durch Faulheit“.[2] „Biblisch gesprochen, haben wir uns vom Arbeitsfluch, der seit der Vertreibung aus dem Paradies auf uns Menschen lastet, freigeschafft – nicht wir allein, sondern ungezählte Generationen vor uns haben daran mitgewirkt. Die Früchte getaner Arbeit fallen uns jetzt überreich in den Schoß.“[3] Wer heute noch den Sinn des Lebens und seinen eigenen Selbstwert wie selbstverständlich aus Arbeit und beruflichem Erfolg ableiten möchte und obendrein Arbeitsunwillige als Drückeberger und Schmarotzer diskriminiert, hat diesen Wandel nicht begriffen: Weil der technische Fortschritt zumindest teilweise darauf zielt, menschliche Arbeit überflüssig zu machen, und dieses Ziel auch ständig erreicht, wird das alte Arbeitsethos immer fragwürdiger.
Das hat Konsequenzen für unsere Vorstellung von Wohlstand und Glück. Während in der alten Arbeitsgesellschaft Arbeit, Einkommen, materieller Wohlstand und Glück eine organische Einheit bildeten, kann und muss heute eine neue Idee von Wohlstand und Glück in den Blick kommen – Wohlstand und Glück als Verfügung über freie Zeit. Auch aus ökologischen Gründen ist uns mittlerweile ja klar, dass der alten Wohlstand nicht zukunftsfähig ist. Er ermöglicht nur eine kurzsichtige Form des Genusses, weil die zukünftigen Kosten dieses Wohlstands den Genießer selbst oder zumindest seine Kinder und Enkel einholen werden. So wie der Kater den Säufer nach einer durchzechten Nacht! Der griechische Philosoph Epikur kritisierte vor zweieinhalb tausend Jahren eine solche Art des Luststrebens bereits als ziemlich dumm. Es ist heute an der Zeit, mit der dummen Form der Lust auch die Arbeitsgesellschaft zu begraben, um mit der klugen Lust eine neue Gesellschaft der Muße zu begründen. Dass in ihr unter anderem auch gearbeitet wird, das ist und bleibt die Konsequenz des menschlichen Wesens. Vielleicht sollte man in einer Zeit, in der Arbeitsplätze aufgrund des technischen Fortschritts immer rarer werden, jenen eine Prämie zahlen, die auf sie freiwillig verzichten und sich zudem – entgegen den Verlockungen der Werbung – für ein bescheideneres Konsumniveau entscheiden. Eine Prämie für die Pioniere des Neuen Wohlstands, dem Wohlstand an Zeit für ein selbst bestimmtes Leben.
[1]: Neue Coburger Presse vom 20.11.2003 ↑
[2|: Schütze Christian (1989), Frieden durch Faulheit, in: GEO, Heft 3, S. 198 f.. ↑
[3]: Schütze 1989, a.a.O., S. 198. ↑